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pulp.noir ist ein multi-art Kollektiv aus Zürich und wurde 2004 gegründet, um ausserhalb eingefahrener Strukturen und Genres neue künstlerische Formate zu entwickeln. Seither operiert die Gruppe an der Schnittstelle zwischen den Künsten und behandelt Fälle des allzu Menschlichen sowie akute gesellschaftspolitische Fragen. Sie tut es auf Theaterbühnen, in Kunsträumen und in Musikclubs, – und seit der Gegenwart auch im digitalen Raum.
Digitale und hybride Formate sind kein Ersatz für das analoge Kunstschaffen; sie kommen vielmehr als zusätzliche Spielarten hinzu. Doch einfach nur ’nice to have’ sind sie nicht, denn sie werden immer nötiger: Ein grosser Teil des heutigen Lebens spielt sich bereits im Digitalen ab, und so gesehen müssen sogar die Live-Künste mindestens mit einem Bein in der digitalen Welt stehen, wenn sie weiterhin gesellschaftliche Debatten mitprägen wollen.
Das Digitale funktioniert nach ganz anderen Regeln als das Analoge; im Guten wie im Schlechten, wie sich in fast allen Lebensbereichen zeigt. Aber gegensätzlich sind die beiden Sphären nicht, und über kurz oder lang werden sie miteinander verschmelzen. – Für eine sich derart transformierende Welt müssen neue Formen der Partizipation und der Gemeinschaft erprobt werden, und auch neue Arten des Erzählens und Inszenierens. Und hierzu haben die Künste einiges zu sagen und sollten es nicht allein der Tech-Industrie überlassen.
pulpnoir.digital macht sich mit auf den Weg und untersucht die Möglichkeiten des Digitalen aus künstlerischer Sicht. Dabei geht es auch um die Kunst selbst: Wie können die darstellenden Künste im digitalen Raum ihre volle Kraft entfalten? Wie kann die analoge Performance durch die digitale Technologie erweitert werden – statt ersetzt? Vielversprechende Antworten zeichnen sich momentan in interaktiven und immersiven Anordnungen ab, oder auch im nichtlinearen und multimedialen Storytelling.
Wie geht konstruktives Streiten?
Weitherum reissen politische und ideologische Gräben auf, und die Bereitschaft, gemeinsame Lösungen zu finden, sinkt ins Bodenlose. Und auch wenn wir in der Schweiz weit entfernt sind vom Krieg, so führen die zunehmenden Konflikte doch zu gesellschaftlichen Verwerfungen.
Links–Rechts, Stadt–Land, Impfwillige–Impfskeptische: immer mehr Fronten stehen sich unversöhnlich gegenüber und liefern sich aggressive Meinungskämpfe. Das ist Gift für die Gesellschaft und für die Demokratie. – Die dringende Frage lautet darum: Wie kann es gelingen, zwischen den verschiedenen Lagern Brücken zu schlagen? Und was ist zu tun, damit die toxischen Gräben gar nicht erst entstehen?
Diese Kunstinstallation plädiert für den konstruktiven Streit. Denn im Gegensatz zum Meinungskampf handelt es sich dabei um eine echte Auseinandersetzung und eine Form des Dialogs. Und zur Lösung von Konflikten braucht es immer einen Dialog. Und ebenso Fairness und Respekt. Aber nicht zwingend einen Konsens.
Die multi-art Gruppe pulp.noir setzt ihre Gedanken zum Thema Streitkultur auf einer künstlerisch-metaphorischen Ebene um, indem vier Musiker*innen ein „Streitgespräch“ vor-führen und verschiedene Facetten des Streitens durchspielen.
Dauer: 15 min
Von und mit
Victoria Mozalevskaya: Saxofon
Luzius Schuler: Keyboards)
Eric Hunziker: E-Gitarre)
Paul Amereller: Schlagzeug
Simon Huber: Sounddesign, Mix
Julia Maria Morf: Video, Virtual Reality
Thomas Fischer: Konzeption, Komposition
Michael Brändli: Recording Engineer
Natascha Sigrist: Assistant Engineer
Webspatz: Website Design
Links–Rechts, Stadt–Land, Impfwillige–Impfskeptische: immer mehr Fronten stehen sich unversöhnlich gegenüber und liefern sich aggressive Meinungskämpfe. Das ist Gift für die Gesellschaft und für die Demokratie. – Die dringende Frage lautet darum: Wie kann es gelingen, zwischen den verschiedenen Lagern Brücken zu schlagen? Und was ist zu tun, damit die toxischen Gräben gar nicht erst entstehen?
Wie geht konstruktives Streiten? – Diese Frage stellt sich das multi-art Kollektiv pulp.noir in Form einer 360°-Audio/Video-Installation. Das Thema Streitkultur wird auf einer künstlerisch-metaphorischen Ebene behandelt, indem vier Musiker*innen ein „Streitgespräch“ vor-führen und verschiedene Facetten des Streitens durchspielen. Mögliche Verhaltensweisen sind zum Beispiel: einander über den Mund fahren, durcheinanderreden ohne einander zuzuhören, das Gespräch verweigern, sich in langen Monologen ergehen. – Möglich ist aber auch das genaue Gegenteil: der konstruktive Dialog.
Bei einem Dialog geht es nicht darum, dass alle Beteiligten gleicher Meinung sind. Wenn sehr unterschiedliche oder sogar gegensätzliche Stimmen aufeinandertreffen, – und das ist in diesem Projekt die Prämisse –, dann sind Einklang und Harmonie ein unrealistisches Ziel. Entsprechend betonen die vier Musiker*innen ihre Eigenart und ihre Eigenständigkeit, was häufig zu Konflikten führt und nur selten zum Konsens. Damit der Streit aber nicht eskaliert, folgen sie musikalischen Prinzipien & Regeln, die ihre Sololäufe und Egos im Zaum halten. – Ist eine Kultur oder gar Kunst des Dialogs utopisch? Oder lassen sich möglicherweise künstlerische Konzepte des Zusammenspiels auf andere Bereiche des Lebens anwenden?
Die vier Musiker*innen sind kreisförmig um das Publikum herum verteilt; oder genauer gesagt ihr Audio/Video-Abbild. Die Besucher*innen sind jedenfalls von Streit umgeben, und das gehört natürlich zur Metapher. Sie befinden sich in der Mitte eines virtuellen Raums und können sich im 360°-Panorama umschauen. Aber weil die Positionen der vier Musiker*innen weit auseinanderliegen, sind nie alle gleichzeitig zu sehen. Also muss die Betrachter*in aktiv den unterschiedlichen Positionen folgen.
Wir danken herzlich für die Unterstützung
Kultur Stadt Bern, SWISSLOS/Kultur Kanton Bern, Burgergemeinde Bern, Migros-Kulturprozent, Fachstelle Kultur Kanton Zürich,
Kornhausforum Bern, Freundeskreis pulp.noir
Wie viel Streit braucht die Kultur – wie viel Kultur der Streit?
Vorab ein wenig Metaphysik…
Im Zentrum der meisten sogenannten ‚abendländischen‘ und entsprechend uns bekannten philosophischen und geistigen Anstrengungen stand von je her das Eine: der eine Ursprung des einen Raums und der einen Zeit, das eine Universum und seine Weltformel, der eine Gott, das eine Wahre, Schöne, Gute, das eine Volk, die eine Nation, die eine klassenlose Weltgesellschaft, usw., usf., etc. pp., und vor allem: die eine Vernunft, die sowohl dieses Eine wesentlich charakterisiert, wie auch für uns die Möglichkeit eröffnet, es zu erkennen, letztlich mit ihm eins zu werden.
Die eine kritische Gegenfrage hat Friedrich Hölderlin (um 1800) vollendet:
Wurzel alles Übels.
Einig zu seyn, ist göttlich und gut; woher ist die Sucht denn
Unter den Menschen, dass nur Einer und Eines nur sei?
Er ragt damit aus seinem Umfeld des ‚Deutschen Idealismus‘ heraus, der bei allem Eingeständnis der widersprüchlichen, entzweiten Natur des Ganzen doch letztlich auf dessen Versöhnung und Einigung zielte, was Theodor W. Adorno insbesondere dem Protagonisten dieses Idealismus, Hegel, zum Vorwurf machte. Seit dieser Intervention Adornos u.a. blühte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinter wechselnden „Post-“Anhängseln die Frage nach dem Anderen und dem Anderssein, der ‚Alterität‘, mit der weniger der Dua- als vielmehr der Pluralismus der heterogen Vielen anvisiert wurde. Im dritten Jahrtausend nun, im Lichte der unabweisbaren Globalisierung des Daseins und seiner ganz realen Voraussetzungen, rückt wieder vermehrt das „e pluribus unum“ (Wahlspruch der USA) oder auch „in varietate concordia“ (seit 2000 jener der EU) in den Fokus des Interesses.
Hölderlin, um noch einmal auf ihn zurückzukommen, hatte in seinen früheren, idealistischen Jahren, bevor ihm jene zitierte Einsicht aufging, eine andere Variante für diesen dialektischen Gedanken der Ein- aus Zwei- oder Vielheit aufgefunden: „ἑν διαφερον ἑαυτῳ, das Eine in sich selber unterschiedne, des Heraklit“. Jenem Herakleitos von Ephesos verdanken wir in der Tat eine Reihe von Formulierungen dieser Art:
„8. Das auseinander Strebende vereinigt sich und aus den verschiedenen [Tönen] entsteht die schönste Harmonie und alles entsteht durch den Streit.
53. Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.
80. Man soll aber wissen, dass der Krieg das Gemeinsame ist und das Recht der Streit, und dass alles durch Streit und Notwendigkeit zum Leben kommt.
111. Krankheit macht die Gesundheit angenehm, Übel das Gute, Hunger den Überfluss, Mühe die Ruhe.“
Allein ist die Überlieferungslage seiner Schriften insgesamt so dürftig, dass diese Rätselsprüche kaum einer wirklich kohärenten Deutung zuzuführen sind – es sei denn, eben diese Unver-EIN-barkeit der Fragmente käme der ihrerseits un-EIN-heitlichen Autor-Intention am nächsten … Wirklich stilbildend hat dieses sich selbst widerstreitende Denken allerdings nicht gewirkt; erst das späte 18. Jahrhundert greift, wie angedeutet, namhaft darauf zurück. Der Moderne gerät die Einheitsfixierung dann zum Gegenstand des Spotts: „Monotonotheismus“, lästert Nietzsche. Und in der Tat kannte die Antike ja einen ganzen Olymp voller Göttinnen und Götter; und ausserhalb und schon lange vor dieser ‚abendländischen‘ Antike beruhte etwa der Zoroastrismus auf einem unversöhnlichen Gut-Böse-Dualismus, der in den abrahamitischen Religionen wiederum in Gestalt des Teufels volksreligiös oder philosophisch als das Böse nachwirkt.
Und so liesse sich die Geschichte ‚unseres‘ metaphysischen Denkens als ein stetes Ringen um Einheit, Einigkeit und das Eine deuten, dem immer wieder die Zwietracht in die Quere kommt. Dass gerade dadurch im Sinne Heraklits, wenn wir einen solchen annehmen wollen, die Dinge in den Fluss kommen und bleiben, dass also damit überhaupt Entwicklung möglich wird, ist durchaus nicht ohne Plausibilität.
Wir und ihr
„Einig zu seyn“, schrieb Hölderlin. Offensichtlich holt er die Frage damit von der metaphysischen zugleich auch auf die Ebene der Gesellschaft herunter. Diesseits kosmologischer Prinzipien ist der Streit, schärfer der Krieg, ein zwischenmenschliches Phänomen. Wenn wir annehmen, dass er zu den anthropologischen Konstanten gehört, dass, wo mindestens drei Menschen zusammenkommen (zum Sonderfall der zwei sogleich), mindestens vier konträre Meinungen mit den Hufen scharren und rasch einmal die Messer wetzen, stellt sich die Frage, was diesen Krieg vermeiden hilft. Denn bei aller Sympathie für dessen „schöpferischer Zerstörungskraft“ (Schumpeter) etwa in Gestalt des „Wirtschaftswunders“ nach dem „Zweiten Weltkrieg“ sind wir in unseren „postheroischen“ Gesellschaften bemüht und dabei wahrlich gut beraten, den Einsatz bei solchen Wetten auf das lebens- oder doch wenigstens überlebensgestattende Mass einzugrenzen. Was also rettet uns vor Streit und Krieg?
„Einigkeit“, so die erste, bereits angetippte Antwort, bezeichnet das klassisch-‚abendländische‘, monistische Ideal für den sozialen Bereich. Konsens, vor allem aus vernünftiger Einsicht, weniger emotionaler Einstimmung, schliesst den Streit aus. Allerdings schliesst sich hier sogleich die Frage an: Wenn der Mensch an sich zum Konsens fähig ist, wieso klappt das dann erfahrungsgemäss eher selten? Ist er nun „göttlich und gut“ oder eben doch im Wesenskern getrieben von disparaten, zwieträchtigen Motiven? Wenn beides ein wenig stimmt (der Mensch also nach Kant aus „krummem Holz geschnitzt“ ist), bedarf es zur Erklärung der Sachlage eines vermittelnden Elements. Üblicherweise heisst dieses: Bildung; das anthropologische Rohmaterial bedarf des Schliffs, damit das eine Licht des Geistes in allen Exemplaren in der selben, einen Schönheit sich brechen kann. Soweit der Humanismus; hier lenkt der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“ die Gesellschaft ganz ohne Reibung in die eine Bahn.
Die zweite, zynische, aber vielleicht nicht weniger realistische und für die Diskussion sehr wichtige Antwort lautet: es ist der ganz gewalttätige Zwang, der allen Streit ob seiner innovativen, d.h. subversiven Kraft niederhalten muss. Ikonisch hierfür die synchron lächelnd applaudierenden, oft uniformierten Menschenansammlungen in Staaten mit autoritären Regimen. Und machen wir uns nichts vor, spätestens seit Adorno oder Foucault: Der bürgerliche Kapitalismus kennt seine subtileren „Dual use“-Mittel, mögen sie „Sozialkompetenz“ heissen oder „Respekt“. Wenn die Besitz- oder Machtverhältnisse die intrinsisch motivierte Ausübung solcher menschenfreundlicher Tugenden beim besten Willen nicht mehr gründen können, liegt in deren Einforderung und Durchsetzung das Antihumane. „Empört euch!“, schrieb Stéphane Héssel vor einigen Jahren; „I want you to panic!“, sagte Greta Thunberg. Die ganze moderne Diskussion um den Begriff der „Gewalt“ schliesst sich hier an: von der gegen Menschen zu jener gegen Sachen, von zivilem Ungehorsam, struktureller Gewalt und Mikroaggressionen. Wer bestimmt eigentlich, was „Respekt“ ist? Kann man respektvoll töten, respektlos freundlich sein?
Einer dritten Antwort, wie die Abwesenheit von Streit in Menschengruppen zustande kommt, ist Elias Canetti unter dem Begriff der „Masse“ nachgegangen. Insbesondere in der Reaktion auf einen äusseren Einfluss verschmelzen die Individuen zu einem homogenen Körper, sie lösen sich auf. Damit ist aber mit der Dissonanz zugleich auch die Konsonanz verloren gegangen, es bleibt ein monolithischer Block ohne menschlichen Klang.
Gesellschaftlicher Streit also ist ein Zeichen: für Lebendigkeit, Entwicklung, Energie. Doch das Ideal des vernünftigen Konsenses lehrt nach den Streit-Motiven zu fragen; sie sind ja nicht alle gleichwertig. So hat am rechten Rand des politischen Spektrums seit einigen Jahren die Rede vom „Thymos“ Konjunktur, etwa bei Sloterdijk und seinen Schülern, auch in Neonazikreisen. Der Zorn, den Homer schon besingt, erfährt eine Huldigung, die häufig mit dem Männlich-Heldenhaften, Nonkonformistischen um des Nonkonformistischen willen konnotiert ist, Nietzscheanische ‚Übermenschen‘-Brutalpoesie klingt an, das Feindbild heisst „Gutmensch“. Wir müssen also richtigen von falschem Streit unterscheiden, der sich nicht an der Form unterscheidet, der Empörung, dem Ausbruch, sondern seinem Inhalt. Nicht der Streit ist das Böse, sondern die Ungerechtigkeit, das Falsche, gegen das der Streit sich wendet. (Beides gegeneinander auszuspielen, ist der Kern der ideologisch-pervertierten Gestalt von ‚Harmonie‘.) Für ‚das Richtige‘ sich einzusetzen und zu streiten, kennt rasch keine Grenzen, sondern zum Beispiel die Militärpflicht. Oder den Tyrannenmord. Im Interesse des ‚Richtigen‘, etwa des Marktes, werden Verhungernde zu unerwünschten Nebenwirkungen.
So führt die Frage nach dem Streit zu jener nach dem Guten zurück. Was aber ist das? Wer bestimmt das? Wie finden wir es? Nach der Kritik aller religiösen Offenbarungen wohl im Streit … Es ist dies der Moment, in dem sich die Katze in den Schwanz beisst und „Streitkultur“, dieses vermeintliche Oxymoron oder Paradoxon, als der sich widerstreitende Begriff erkennbar wird, der die menschliche Zivilisation zugleich begründet und infrage stellt. Gibt es den ‚gerechten Krieg‘? Oder rettet uns nur der Pazifismus vor dem ‚totalen‘?
Ich und du
Schauen wir abschliessend noch genauer hin und ins Private. „Du machst mich wahnsinnig!“, lautet der Titel, d.h. es geht um den Ausnahmezustand in psychologicis. Was passiert im Streit? Gewisse Kommunikationsforscher sprechen von den verschiedenen Aspekten einer Aussage eines Ichs an ein Du, wonach diese Aussage sich einerseits auf ein Stück Realität in der gemeinsamen ‚Aussenwelt‘ beziehe, andererseits auf Realität in der Ich-‚Innenwelt‘, zugleich auf das Du im Hinblick auf die Erwartungen des Ichs an es, schliesslich aus das Verhältnis zwischen Ich und Du aus der Sicht des Ich. Es fällt auf, dass die üblichen Beispielszenen krass sexistisch sind: „Er: Da ist etwas Grünes in der Suppe. – Sie: Dann geh doch woanders essen, wenn es dir nicht passt!“ Und damit stellt sich die Frage nach den impliziten Psychologien, die solches Verhalten erklären sollen. Weshalb eigentlich die gereizte Reaktion? Streifen wir das 50er-Jahre-Setting ab, bleibt allgemein übrig: Offenkundig reagiert das Du auf etwas, was dieses wesentlich infrage stellt – ob zu Recht oder Unrecht, dazu gleich. Streit heisst: es geht um etwas, nicht um nichts oder wenig; ausserhalb der ‚Komfortzone‘. Deshalb ist Aggression ein Symptom des Existenziellen; deshalb verdient paradoxerweise gerade die Respektlosigkeit Respekt. Dieser Respekt ist letztlich nur legitimerweise zu verweigern auf der Grundlage der Kriminalisierung des Du. Pathologisierung kommt nicht infrage: Krankheit erfordert respektvolle Fürsorge. Nur das absichtlich Böse verdient keine Toleranz.
Aber Streit stresst, ist laut und anstrengend! Streit zermürbt doch. Nun, wir haben wohl das Wesen des Streits noch nicht weit genug erfasst, wichtig ist: Streit setzt Freiheit voraus bzw., was dasselbe ist: Gerechtigkeit. Nur wo keine fremden Einflüsse, Zwänge, die Situation verzerren, kann Streit als emphatisch-engagierte Auseinandersetzung um das Wesentliche der Klärung dienen. Denn das dürfte das Ziel des sinnvollen Streits sein: Nicht die Rettung des Gesichts – wer braucht das schon in der menschlichen Gesellschaft -, nicht der Sieg – dito -, sondern die befreite Sicht auf das Wesentliche, auf das Gute und Richtige muss am Ende bleiben. Und das lohnt den Einsatz, wie jede andere menschengemässe Arbeit, die ermüdet und letztlich verbraucht, und die den einzelnen Menschen überdauert. Die Verhältnisse entscheiden; das Private ist auch im Streit politisch, und es kann keine gelingende Kultur des Streits geben in der falschen an sich. Wo der Streit in ungerechten Machtgefügen, verbogenen Beziehungen, Sachzwängen sich entspinnt, degeneriert er zum Kampf, zur Demütigung, zum Terror, zur Folter. Es bedarf der Egalität: Eltern können mit Kindern nicht streiten, sondern ihn immer nur simulieren, sich dazu herablassen, bestenfalls in einer guten pädagogischen Absicht. Wo Streit scheitert, keine Klarheit bringt, sind die Voraussetzungen schief, ist die Frage falsch gestellt. Deshalb braucht es bis auf weiteres den Kampf, um die Grundlage für den Streit zu schaffen, der natürlicher Teil jener Verhältnisse ist, in denen der Mensch dem Menschen ein Helfer sein wird.
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